SELBSTAUSLÖSER (FRANKREICH)

Aus Frankreich gibt es einige sehr originelle Selbstauslöser, die das Geburtsland der Photo­graphie eindrucksvoll repräsentieren. Möchte man welche davon im Original sehen, lassen sich bei einem Besuch des Musée Français de la Photographie in Biévres einen H. G. Autophotographe Chronopose Model Simple, zwei Modelle des Le Cunctator und einen L'Operator entdecken.

1898: MICHELIN & CIE. 'AUTO DÉCLENCHEUR'

Aus der ersten Schaffensphase von André und Edouard Michelin stammt diese Art Luftpumpe. Die beiden Herren erbten 1889 eine kleine Fabrik zur Herstellung von landwirtschaftlichen Maschinen und Pumpen sowie das Verfahren zur Vulkanisierung von Kautschuk. Sie gründeten die Societé Michelin & Cie. und wurden neben technischen Innovationen rund um den Werkstoff Gummi vor allem durch die Entwicklung von Autoreifen erfolgreich. Ihr Patent von 1891 für den demontierbaren Reifen stellt den Beginn der industriellen Ära des Luftreifens dar.

Die Funktion ihres Selbstauslösers ist die einer Luftpumpe für pneumatische Kameraverschlüsse. Zum Spannen wird der gefederte Stempel aus dem Zylinder gezogen und am Haken mit einem Zelluloidring an dem Galgen fixiert. Dann wird eine Zündschnur durch das kleine Loch am unteren Ende des Galgens gefädelt und durch den Zelluloid­ring gezogen. Nach Abbrennen der Zündschnur und des Zelluloid­rings erzeugt der Kolben den für die Auslösung erforderlichen Luftdruck. Durch den seit­lichen verstellbaren Galgen lässt sich der Hubraum und damit die Belichtungszeit variieren.

1903: AUGUSTE BONNET 'AUTOPHOTOGRAPHE'

Der Autophotographe von Auguste Bonnet besteht gleich aus zwei Luft­pumpen, deren gefederte Kolben vor Verwendung voll­ständig vollständig heraus gezogen werden. Der rechte Kolben dient der Vorlaufzeit, wobei nach Ablauf eine hochschnellende Metall­scheibe den Beginn der Aufnahme anzeigt und dann der linke Kolben den benötigten Luftdruck für den Kameraverschluss bewirkt. Durch eine Flügelmutter und zwei Ventile lassen sich Hub­raum sowie Vorlauf- und Belichtungszeit regulieren.

„Seine Zweckmäßigkeit ist un­bestreitbar, und seine Verwendung bietet eine neue Form der Unterhaltung" wurde dieses neue Gerät beworben und war zu einen Preis von 13,40 Francs im Foto-Fachgeschäft Fescourt in Paris erhältlich.

1906: HENRI GRAVILLON (H.G.) 'AUTOPHOTOGRAPHE CHRONOPOSE'

Der Autophotograph wurde von dem Pariser Schlosser­meister Henri Gravillion noch einmal überarbeitet. Die Vorlaufzeit und der Belichtungshubraum lassen sich nun einfach über die Auszugslänge der Kolbenstangen wählen und die Belichtungszeit kann über eine verstellbare Luft­austrittsöffnung mit hoher Genauigkeit von einer 1/10 bis 10 Sekunden eingestellt werden. Weiterhin gibt es beim neuen Autophotographe Chronopose neben dem Model Simple auch ein Model Universel, bei dem zusätzlich auch Verschlüsse betätigt werden können, die einen zweiten Impuls zum Ende der Belichtungszeit benötigen.

Mit Seriennummern und einem damaligen Verkaufspreis von 20, bzw. 30 Francs waren diese hand­gefertigten Schwer­gewichte (325g und 415g) sicherlich sehr exklusiv. Angeblich besaß Pablo Picasso einen Autophotographe als Hilfsmittel vieler seiner Selbstportraits, die er bis 1910 in seinem Pariser Atelier aufnahm (siehe Anne Baldassari 'Picasso and Photography: The Dark Mirror' 1997, Seite 16).

1907: MACKENSTEIN 'DÉCLIC AUTOMATIQUE H. B.'

Der neuartige Déclic automatique H. B. der Établissements Mackenstein, Paris wird direkt unterhalb des Auslöseknopfs einer Kamera befestigt. Bei zusammen­gedrückter Schrauben­feder B kann der Mechanismus über Feststeller S gehalten und die Enden E mit einem Baumwoll­docht L fixiert werden. Nach dem Entsperren kann die Lunte angezündet werden, wobei man je nach Länge genügend Zeit hat, sich vor die Linse zu begeben. Sobald sich beim Abbrennen die Feder­spannung löst, bedient der Finger D den Auslöser.

Größter Nachteil dieser Konstruktion war die durch die Be­festigung beschränkte Anwendung auf einige Stereo­kameras der Firma Macken­stein. Erst durch die Einführung von Draht­auslösern wurde das Prinzip der gefederten Klammer massen­tauglich (z. B. Knipsi, L'Operator, Pastri).

1910: JULES RICHARD 'LE CUNCTATOR'

Im Jahre 1910 konstruierte Jules Richard für seine Stereokameras 'Verascope' einen speziellen Selbst­auslöser namens Le Cunctator (lat.: Der Zögerer). Ihm folgten noch drei weitere Modelle, die bis 1931 erfolg­reich verkauft wurden.
Alle vier Modelle haben ein Gehäuse aus geschwärztem Messing und wiegen etwa 150 g. Beim Ablauf des Uhrwerks ticken sie wie eine Kuckucksuhr und haben zwei Signalfelder, die wie Buchseiten aufklappen und den Verlauf der Belichtung anzeigen.

Das hier abgebildete Modell ist das erste und seltenste. Seine Seriennummer bewegt sich im dreistelligen Bereich. Der Anschluss ist nur für die Verascope Typ 24 und 25 geeignet. Abgelöst wurde bereits ein Jahr später durch ein Modell, das über einen universelleren Anschluss für weitere Typen ver­fügte. Die Bezeichnung der Modelle 1, 2 und 3 ergab sich 1913 bei Einführung des Le Cunctator als Zeitauslöser mit bis zu 30, bzw. 60 Sekunden.

1912: PHOTO-SPORT 'L'OPÈRATOR'

Die bisherigen französischen Selbstauslöser waren sehr speziell auf bestimmte Kameratypen ausgerichtet und damit für den normalen Fotoamateur ungeeignet oder einfach zu teuer. Abhilfe schaffte hier jetzt ein einfacher und sehr preis­werter Selbst­auslöser namens L'Operator, der exklusiv von Photo-Sport, einem Pariser Fachgeschäft für Fotografie, für nur 1.50 Francs angeboten wurde. Der Kunde erhielt dafür eine angesägte und aufgebohrte Holzwäscheklammer, die mit bunten Celluloidstreifen bedient wurde und in Aktion einen eingespannten Drahtauslöser zusammendrückte.

Dieses Modell wurde bis in die 30er Jahre erfolgreich verkauft.

1922: JEANNERET & CIE. 'RETARDATEUR POUR MONOBLOC'

Die französische Kamera Monobloc hat ein eingebautes Magazin für 6x13cm-Glasplatten und diente für Aufnahme stereoskopischer, aber auch panoramischer Bilder. Außerdem besitzt die Monobloc ein spezielles Gewinde, auf das ein eigens angebotener Selbstauslöser aufgeschraubt werden kann. Er ist 11 cm lang und hat eine pneumatische Hemmung. Zum Spannen zieht man den kleinen Hebel nach oben und kann ihn dort durch eine kleine Drehung wie einen Bajonettanschluss arretieren. Dreht man jetzt noch am Kopfrad, lassen sich durch veränderte Luftzufuhr verschiedene Ablaufzeiten wählen.

1928: FERNAND DANCET 'FERDAX'

Die Fabrique de Pignons François Dancet wurde 1872 gegründet und belieferte vor allem Schweizer Uhrenfabriken. Der Sohn des Gründers, François Fernand Dancet baute die Firma systematisch aus, während sich der Enkel Fernand Dancet auf die Herstellung von Selbstauslösern konzentrierte. 1928 kamen so unter der Marke Ferdax zwei Modelle auf den Markt, die den Auslösern von Franz Morat und Heinrich Klapprott deutlich ähnelten. Wahrscheinlich waren beide Hersteller auch Kunden bei Dancet und lieferten so der perfekte Vorlage. 1932 meldete Fernand Dancet seinen Zeitauslöser sogar als eigenes Patent an. Möglich war dies durch eine Besonderheit des französischen Patentrechts. Das Breveté S.G.D.G. (Breveté sans garantie du gouvernement) gestattete damals noch Patente ohne vorherige Prüfung ohne Garantie auf Funktion, Neuheit und Verdienst auf die Erfindung.

Bei beiden Modellen des Ferdax konnten Großabnehmer einen eigenen Namen anbringen lassen (z. B. Autotimer, Dul-Pen, Errtee, Santor).

1930: JULES RICHARD 'SKI-MÔ'

Die Etablissements Jules Richard, Paris fertigte Stereoaufnahmeapparate, Betrachtungs­apparate und sonstige Zubehörteile für die Stereofotografie an. Stellte sie anfangs noch den Le Cunctator her, vertrieb sie mittlerweile nur noch den Schweizer Zeitauslöser Foto-Ski und nun zur Vollständigkeit des Angebots auch noch einen Momentauslöser der Firma Franz Morat. In Anlehnung an den Foto-Ski bekam das neue Modell den Namen Ski-Mô, wahrscheinlich in Anlehnung an Morat oder Momentauslöser.

1946: PHOTOREX 'REX'

Sehr elegant waren die patentierten Selbstauslöser der Serie Rex der französischen Photorex. Die stift­förmigen Uhrwerksauslöser gab es kupfer- und aluminiumfarben jeweils mit Compur- oder Leica-Anschluss. Zum Spannen reichte ein einfaches Hochziehen des Kopfteils. Bei Nichtgebrauch konnten sie durch den Kugelschreiberclip z. B. in der Hemdentasche getragen werden.

Hersteller war die Société Francaise Photorex, die 1944 von André Grange in St. Étienne als Kamera­handel gegründet wurde. Die Produktion eigener Kameras erfolgte 1949, drei Jahre später der Konkurs.

1950: RENÉ BOUMSELL 'MAJOR'

Bei den Etablissements René Boumsell in Paris gab es preiswerte wie praktische Haushaltswaren aller Art. Darunter fanden sich auch einige Kameras einfacher Bauart mit den Namen Azur, Longchamp, Auteuil oder Photo-Magic. Ein passender Selbstauslöser war unter dem Namen Major erhältlich.

1954: GITZO 'AUTO-RETARDATEUR'

Die Firma Gitzo wurde im Jahre 1917 von Arsène Gitzhoven gegründet und produzierte anfangs Kameras, Drahtauslöser und Kameraverschlüsse. 1954 erweitere Gitzo ihr Sortiment durch einen patentierten Selbstauslöser, der fast vierzig Jahre lang erfolgreich hergestellt wurde. Diesen kann man wie eine Spritze aufziehen und direkt auf den Kameraverschluss aufschrauben. Im Laufe der Jahre gab es neben dem Modell Junior und Standard auch Sonderausführungen für Kodak, Foca, Rollei, Korelle, Gaumont, Leica und Polaroid.

Gitzo wurde 1992 Teil der Vitec Gruppe und stellte kurz darauf die Produktion von Selbstauslösern ein. Heute ist Gitzo vor allem durch ihre hochwertigen Stative bekannt.

letzte Änderung: 22.12.20