Diese Themenseite gilt allein einer bestimmten Selbstauslöser-Reihe und beschreibt deren Entwicklung in chronologischer Folge.
PHOTOCLIP
Der Photoclip ist der bekannteste Vertreter Schweizer Selbstauslöser. Seine runde Form erinnert an Präzision und Zuverlässigkeit Schweizer Uhrwerke.
Neben dem weit verbreiteten Momentauslöser Photoclip A und dem Zeitauslöser Photoclip B gibt es noch einige direkt aufschraubbare Modelle sowie Variationen für den Export in die USA.
Insgesamt kann der Photoclip auf einen Herstellungszeitraum von
über 40 Jahren zurückblicken und die ersten Modelle bereits ihren einhundertsten Geburtstag feiern.
1897: MÜLLER & VAUCHER
Antoine Müller (1861-1930) und Alcide Vaucher (1860-1924) gründeten die Uhrenmanufaktur Müller & Vaucher (M&V) in Biel, einer Stadt im Schweizer Kanton Bern. Unter den
Markenzeichen MV, VM und dem Namen Recta fertigten sie hochwertige Taschenuhren.
Der wirtschaftlich Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Bereits nach zwei Jahren kam die Firma in die Gewinnzone, nach fünf Jahren wurde das Gebäude an der Suze um eine Etage aufgestockt.
Auch noch heute ist das Gründungsgebäude von M&V existent. 2005 entstand hier das Café Restaurant de l`Ecluse. Dabei wurde der Stil der alten Fabrik beibehalten, da das Haus unter Denkmalschutz steht.
1913: ERWEITERUNGEN
Ein Umzug in ein neues Gebäude der benachbarten Viaduktstraße konnte die Produktionskapazität verdoppeln und genügend Raum für weitere Produkte schaffen. Neben Taschenuhren wurden 1914 erstmals auch Kompasse hergestellt, mit der die Firma noch sehr erfolgreich werden sollte.
Ein weiteres Produkt ergab sich 1915 mit der Gelegenheit, es ebenfalls in einem Taschenuhrengehäuse unterzubringen: dem ‘Photometer M&V‘. Mit diesem Belichtungsmesser wurden die Weichen zu Fotozubehör gestellt.
1916: DER ERSTE SELBSTAUSLÖSER
Müller & Vaucher reichten am 14. September 1916 ihr erstes Patent für einen selbsttätigen Verschlussauslöser ein. Es war ein einfacher Momentauslöser, der beim Aufziehen eine Greiferschiene ausfährt und beim Ablauf des Uhrwerks wieder einfährt. Durch einen Sperrhebel konnte man diesen Prozess aufhalten, bis man einen Drahtauslöser in den Greifer gefummelt hat. Selbstverständlich war das neue Gerät rund und besaß ein solides Schweizer Uhrwerk.
1916: DER NAME RECTA
Ende 1916 erfolgte die amtliche Umbenennung der Firma Müller & Vaucher in Recta, genauer gesagt in 'Fabrique d’Horlogerie Recta S.A.' Für die Produkte der Firma ergab sich dadurch nichts Neues, da der Name Recta bereits seit 1898 als Warenzeichen angemeldet und für Uhren und Kompasse verwendet wurde. Im Bereich Fotozubehör blieb das Warenzeichen 'M&V' noch bis Mitte der dreißiger Jahre bestehen.
1917: DER ERSTE 'PHOTOCLIP'
Im Frühjahr 1917 brachte Recta neben dem bereits erfolgreich verkauften Präzisions-Photometer M&V nun seinen "selbsttätigen Fernauslöser Photoclip" auf den Markt. Das Schweizer Patent war bereits am 16. Februar 1917 erteilt worden, sodass dem Erfolg nicht mehr im Wege stehen sollte. Das neue Zubehör war Schweizer Uhrwerkspräsion „in der Form einer kleinen Taschenuhr" und hatte einen Durchmesser 41mm.
1917: DER VERTRIEB IN DEUTSCHLAND
Mit dem Optiker W. Walz, St. Gallen schien Recta einen geeigneten Vertreter für den Vertrieb des neuen Photoclip in Deutschland gefunden zu haben. Walz inserierte unter anderem in der Fachzeitschrift 'Die photographische Industrie' und suchte Abnehmer in Einzelhandel.
Die Antwort kam einige Wochen später: "Warnung. Seit einiger Zeit bietet eine Schweizer Firma einen selbsttätigen Verschlußauslöser unter dem Namen Photoclip in Deutschland an. Dessen Vertrieb bzw. Verkauf verstößt gegen die mir durch Gebrauchsmuster patentamtlichen Rechte meines selbsttätigen Verschlußauslöser Effwee-Autoknips. Ich warne daher die deutsche Händlerschaft im eigenen Interesse, diesen Verschlußauslöser Photoclip in Deutschland zu verkaufen. Sollte dieses bereits geschehen sein, so werde ich die mir zustehenden Rechte wahrnehmen. Hamburg, den 15. August 1917. Friedo Wiesenhavern."
Der Verkauf des Photoclip in Deutschland war damit zunächst gestoppt.
1922: 'PHOTOCLIP B'
Während der erste Photoclip noch mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, legte Recta mit ihrem neuen Modell Photoclip B kräftig nach.
Der neue, auch in Deutschland patentierte Zeitauslöser, war stufenweise bis 20 Sekunden einstellbar, leicht zu bedienen und sehr zuverlässig. Als Produkt eines Uhrenherstellers hatte der Photoclip B erstmals auch eine Stellschraube zur Justierung der Laufgeschwindigkeit, die wie bei Uhrwerken die Beschriftung AF (accélérer, fast) bzw. RS (ralentir, slow) trägt.
Zur technischen Entwicklung des Photoclip B im Detail.
1922: 'PHOTOCLIP A'
Mit dem neuen Zeitauslöser erhielt der bisherige Momentauslöser eine Überarbeitung und die Modellbezeichnung Photoclip A, deutlich erkennbar durch die Verkleinerung des Durchmessers von 41 auf 32 mm.
Kaum erkennbar hingegen war eine Änderung an der Gehäuseoberfläche. Der Photoclip A wie auch der Photoclip B bekamen erstmals ein Gehäuse aus massivem Neusilber, einer Legierung aus den Metallen Kupfer, Nickel und Zink. Dies ist härter und korrosionsbeständiger als bisheriges und sonst übliches vernickeltes Messing.
Zur technischen Entwicklung des Photoclip A im Detail.
1925: EIN MUSTER DER ZUVERLÄSSIGKEIT
Recta ließ keinen Moment aus, ihre Photoclip hoch zu loben und ihren Besitzern höchste Entzückung zu verheißen:
"Wie wichtig die automatische Fernauslösung des Verschlusses für den Amateur-Photographen ist, beweisen die unzähligen Versuche, die seit Jahrzehnten auf diesem Gebiete gemacht wurden.
Pneumatische Bälle mit meterlangen Schläuchen, Drahtauslöser in übersetzter Dimension, abbrennbare Papierstreifen und Feder-werke, alles wurde probiert.
D a n n k a m d e r P H O T O C L I P .
Schon die ersten Modelle erweckten in Fachkreisen Bewunderung, und das Zutrauen wuchs mit der Zahl der im Gebrauch befindlichen Instrumente. Heute benützen Tausende und Tausende von Amateuren aller Länder regelmäßig den Photoclip, und die stets wachsende Nachfrage zeigt, daß der hält, was er verspricht.
Der Photoclip ist ein Erzeugnis der in der ganzen Welt für ihre Präzision bekannten Schweizer Uhrenindustrie und gilt auch in Fachkreisen als ein Muster der Zuverlässigkeit. Der Mechanismus ist äußerst widerstandsfähig, einfach in der Handhabung und derart konstruiert, daß ein Versagen ausgeschlossen ist. Auf ihn kann der Photographierende sich verlassen." (Auszug aus einem Prospekt zum Photoclip, ca. 1925).
Spätere Prospekte wurden farbig, reich bebildert und in verschiedenen Sprachen aufgelegt.
1936: 'PHOTOCLIP DIRECT'
In den 30er Jahren wurden Zeitauslöser zunehmend überflüssig. Gleichzeitg kam der Wunsch auf, einen Selbstauslöser direkt an einen Kameraverschluss zu schrauben, ohne einen zusätzlichen Drahtauslöser dazwischenzusetzen, der durch das Herunterhängen des Selbstauslöser möglicherweise noch abgeknickt.
Eine sehr praktische Lösung fand Recta mit ihrem neuen Photoclip Direct, wobei an nahezu jeden Ausschlusstyp gedacht wurde: einem Mod. Normal für übliche Compur-Gewinde, Mod. Rollei zweiäugigen Spiegelreflexkameras sowie dem Mod. Leica. Überaus kundenfreundlich war dabei die Möglichkeit, bei Besitz einer normalen Ausführung auch einen Ansatz für Rollei oder für Leica separat nachzukaufen.
1941: DP MODEL
Recta entwickelte ihren berühmten Flüssigkeitskompass, bekannt unter der Bezeichnung 'Swiss Army Compass' oder 'DP Model', welcher heute noch von Armeen in aller Welt eingesetzt wird.
Das einzigartige Design dieses Kompassmodells wurde vom New-Yorker Museum of Modern Art (MOMA) ausgezeichnet.
1949: 'PHOTOCLIP C'
Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten fand Recta in Chicago einen geeigneten Partner. Exklusiv für Burke & James produzierte Recta nun einen Photoclip Mod. C als spezielles Zubehör für Polaroid.
Der Clou an diesem Gerät waren die eingravierten Zahlen auf der beim Ablaufen bewegten Greiferschiene. So konnte der Selbstauslöser auch als Timer von 60 Sekunden für die Entwicklungszeit von Bildern der neuen Polaroid Land 'Picture-in-a-minute' Camera benutzt werden.
1950: 'PHOTOCLIP D'
Ein weiteres Modell von Burke & James war der Photoclip D. Er unterschied sich bis auf die Beschriftung auf der Rückseite nicht vom ursprünglichen Photoclip Direkt und war wie dieser zum direkten Anschrauben an die Kamera geeignet. Auch wurde der Photoclip D in drei Ausführungen angeboten: Modell Normal, Rollei und Leica.
1961: EIN LANGSAMES ENDE
Mit dem Ankauf von Recta durch den amerikanischen Uhrenhersteller Bulova endete 1963 die Produktion von Selbstauslösern.1983 wurde auch die Uhrenfabrikation am Standort Biel eingestellt. Die Herstellung von Kompasse, Höhen- und Kartenmesser blieb bestehen und wurde 1996 an die finnische Firma Suunto verkauft. Ende 2008 wurde die Produktion in Biel dann endgültig dicht gemacht und in die finnische Stadt Vantaa verlegt. Der Name Recta war damit Geschichte.
letzte Änderung: 21.10.20